Andere Länder wie Großbritannien steigen längst aus der Kohle aus. Deutschland hinkt hinterher. Ein Interview mit Euractiv zum Stand der Energiewende und dem dringend notwendigen Kohleausstieg.
Endlich ist es soweit, letzte Woche hat die „Kohlekommission“ der Bundesregierung ihre Arbeit aufgenommen. Worin liegen die größten Herausforderungen für die 31 Kopf starke Expertengruppe?
Ganz praktisch gesehen wird der Zeitdruck wohl das größte Problem sein. Bis Oktober sollen schon konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen, das wird eine Mammutaufgabe. Die Bundesregierung hat mit der Einsetzung der Kommission leider Zeit verschwendet, weil man sich über die Zusammensetzung und die eigentlichen Ziele uneins war.
Was halten Sie von der Zusammensetzung der Kommission?
Die ist recht heterogen, die wichtigsten Akteure der betroffenen Sektoren sind vertreten. Dort kommt eine enorme Expertise zusammen. Was ich kritisch sehe, ist, dass der Vorsitz zur Hälfte von Politikern aus Braunkohleländern besteht, nämlich Herrn Platzeck aus Brandenburg und Herrn Tillich aus Sachsen. Das gibt dem Ganzen eine Schlagseite.
Wird die Kohlekommission denn brauchbare Ergebnisse liefern?
Das ist zu wünschen, aber noch völlig offen. Die Idee, dass Vertreter aus Kohleindustrie und der Braunkohlereviere sich selbst ein Austrittsdatum setzen, das mit den Klimazielen kompatibel ist, finde ich gelinde gesagt, optimistisch.
Das zu tun wäre Aufgabe der Politik. Die Bundesregierung drückt sich aber davor, eine klare Ansage zu machen. Sie sollte sich zum Klimaschutz verpflichten und ein Ausstiegsdatum festlegen. Dann könnte sich die Kommission primär mit dem Strukturwandel befassen, also zum Beispiel beantworten, wie der Übergang im Energiesektor sozialverträglich gestaltet werden kann. Was die Kommission nicht kann, ist die Regierung aus ihrer Verantwortung zu entlassen, politische Vorgaben zu machen.
Wie rasch könnten wir denn aus der Braunkohle austreten?
Technisch gesehen kann man klar sagen: in den nächsten 15 Jahren. Aber die Lobby der Kohleindustrie ist gut organisiert argumentiert dagegen. Aus Sicht des Umweltschutzes müssen wir aber unbedingt so schnell wie möglich unsere Klimagase reduzieren. Und das geht eben am effektivsten im Stromsektor, vor allem durch das sofortige Abschalten der ältesten und schmutzigsten Kohlekraftwerke.
Herzstück der deutschen Klimapolitik ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das grüne Stromproduktion fördert. Letztes Jahr wurde das EEG reformiert – wie tauglich ist das neue Gesetz?
Jenseits weniger Ausnahmen gibt es im neuen System keine festen Zuschläge mehr für den Betrieb von Anlagen für erneuerbare Energien. Stattdessen sollen sich die preisgünstigsten Anbieter in einer Auktion durchsetzen. Offiziell sollen so die günstigen Technologien wettbewerbsfähiger werden. Die Idee ist zwar gut. In Wirklichkeit aber wird das einseitig großen Unternehmen zu Pass kommen, denn kleine Anbieter werden da nicht mithalten können. Man hat zwar anfangs versucht, Sonderregeln für Bürgerenergie einzuführen. Doch das Ergebnis war, dass große Anbieter einfach scheinbare Bürgerfirmen gegründet haben, um davon zu profitieren.
Dabei ist das EEG ein Erfolgsmodell für Bürgerenergie und hat die Demokratisierung unserer Energieversorgung vorangetrieben. In Deutschland betreiben Genossenschaften, Bauern, Schulen oder einfache BürgerInnen fast die Hälfte aller Windparks und Solaranlagen. Das ist weltweit einzigartig. Im neuen EEG wird die Bürgerenergie nun vermutlich rausgedrängt werden. Das schadet dem Wettbewerb und ist auch ein großes Problem für den Klimaschutz. Denn wir stehen unter enormem Zeitdruck. Da können wir den Markt nicht nur den Big Playern überlassen, die ihre alten Kraftwerke so lange wie möglich laufen lassen wollen.
Großbritannien, die Niederlande, Frankreich und Italien sind bereits dabei, die Verstromung der Kohle zu beenden. Wie kommt es, dass der einstige Klimavorreiter Deutschland so hinterherhinkt?
Man darf nicht vergessen: Deutschland ist ein traditionelles Kohleland. Wir haben große Mengen Braunkohle, die oberflächlich gelegen ist und einfach abgebaut werden kann. Außerdem sind die Preise für Klimazertifikate an der CO2-Börse im Keller. Dadurch kann man in den Kohlerevieren im Rheinland und der Lausitz immer noch unschlagbar günstig Strom produzieren.
Deutschland produziert insgesamt viel zu viel Strom, vor allem wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Dadurch exportieren wir zu Billigpreisen Strom ins Ausland. Den Stromkonzernen in unseren Nachbarländern gefällt das nicht, denn es drückt auch ihre Preise.
Deutschland war einst eine treibende Kraft für den Umweltschutz in der EU. Ist das noch immer so?
Nein, die Rolle als Vorreiter in dem Bereich spielen wir schon lange nicht mehr, das muss man ganz klar sagen. Seit einem Jahrzehnt sinken unsere Emissionen kaum, während andere Länder da viel beherzter rangehen. Wir sind international zum Bremser geworden. Inzwischen hinken wir unseren eigenen Klimazielen meilenweit hinterher: bis 2020 wollten wir eigentlich 40 Prozent unserer Treibhausgase im Vergleich zu 1990 reduziert haben. Stattdessen sind wir nur bei 32 Prozent Einsparung.
Das ist ein klimapolitisches Versagen von Union und SPD. CDU und CSU regieren ununterbrochen seit dreizehn Jahren, das geht vor allem auf ihr Konto. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich international zwar immer für den Klimaschutz stark gemacht, in der Runde der G7 oder G20 zum Beispiel; das muss man ihr zugutehalten. Innenpolitisch hingegen diktieren die Kohle- und die Autokonzerne zu oft die Klimapolitik der Bundesregierung.
Kohleausstieg bedeutet vor allem, dass Wege für einen nachhaltigen Strukturwandel gefunden werden müssen. Deutschland wird dafür viel Geld in Forschung, Weiterbildung und Infrastruktur investieren müssen. Nicht alle Mitgliedsstaaten der EU haben allerdings das nötige Geld dafür. Wie kann der Strukturwandel weg von der Kohle auf EU-Ebene gelingen?
Die EU muss die Kohleregionen stärker unterstützen. Zum Teil können die Strukturfonds dafür verwendet werden, aber weder reicht das noch klappt das bisher gut. Viele Regionen rufen gar nicht alle ihnen zur Verfügung stehende Mittel ab. Dann ist da noch Emmanuel Macrons Vorschlag einer europaweiten CO2-Steuer. Von der Bundesregierung kommt aber keine Reaktion auf diesen Vorstoß. Ich finde das ist ein Fehler, denn es könnte ein wirksames Mittel zur Begleitung des Kohleausstiegs der EU sein.
Den Strukturwandel in der EU als Priorität zu behandeln, wäre eine Chance, den Problemen nicht immer nur hinterher zu laufen, wie im Falle der Finanzkrise oder in der Flüchtlingspolitik. Es bietet der EU die Möglichkeit, ein europäisches Gemeinschaftsprojekt aufzubauen – ein grünes Europa -, mit dem Zukunft gestaltet und Wohlstand geschaffen werden.
Die Fragen stellte Florence Schulz. Das Interview erschien am 11. Juni 2018 auf Euractiv.
Foto von mw238 unter Creative Commons Lizenz (CC BY-SA 2.0).