Die Energiewende ist erfolgreicher, als selbst die meisten ihrer Befürworter erwartet hätten. Die Erneuerbaren Energien wurden schneller ausgebaut als von vielen vorhergesagt, allen voran die Photovoltaik. Doch selbst wenn der Ausbau von Wind- und Sonnenkraft im nächsten Jahrzehnt auf Kurs bleibt, wird sich die Braunkohle in der Stromerzeugung auf hohem Niveau, auch aufgrund steigender Stromexporte, stabilisieren. Das ist das Ergebnis einer Studie, die ich zusammen mit Craig Morris und Thomas Gerke verfasst habe. Die Braunkohle konterkariert die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung und gefährdet den internationalen Vorbildcharakter der Energiewende.
Zwar hat der Zubau der Erneuerbaren Energien über die letzten Jahre den weggefallenen Atomstrom mehr als kompensiert. Das heißt, zuletzt ans Netz genommene Kohlekraftwerke waren nicht erforderlich, um den Atomausstieg abzusichern. Doch innerhalb der fossilen Energieträger lässt sich eine Verschiebung feststellen, die klimapolitisch ernüchternd ist. Unter den heutigen Rahmenbedingungen auf dem Strommarkt werden die weniger klimaschädlichen Kapazitäten zuerst aus dem Markt gedrängt: zuerst Gas, dann Steinkohle, dann erst die – klimaschädlichste Erzeugungsform – Braunkohle.
Die Verschiebung zugunsten von Braunkohlestrom wurde durch ein wachsendes Überangebot an Erzeugungskapazitäten forciert. Von der Politik unterstützt haben Energiekonzerne und viele Stadtwerke in den letzten Jahren in neue Kapazitäten konventioneller Kraftwerke investiert. Anreize dafür wurden vor rund zehn Jahren u.a. mit dem Emissionshandel gesetzt. Diese Investitionswelle und der unerwartet schnelle Ausbau der Erneuerbaren Energien führten zu Überkapazitäten auf dem deutschen Strommarkt – trotz der Abschaltung von acht Atomkraftwerken im Jahre 2011.
Je stärker die Erneuerbaren Energien wachsen, desto weniger werden konventionelle Kraftwerke benötigt, um die Nachfrage nach Strom zu bedienen. Dieses Kapazitäten-Paradox – mehr installierte Leistung (MW) erzeugt weniger Strom (MWh) – führt dazu, dass konventionelle Kraftwerke immer seltener ausgelastet sind. Durch das Überangebot fallen die Preise auf den Großhandelsmärkten. Fallende Preise kurbeln die Nachfrage an, auch im Ausland. In Zukunft werden die Nachbarländer noch mehr Strom aus Deutschland einkaufen können, weil Kuppelstellen zum deutschen Stromnetz, die bisher als Nadelöhr wirkten, ausgebaut werden. Die Betreiber von deutschen Kohlekraftwerken werden ihr Geschäft darauf ausrichten, die Nachfrage aus dem Ausland zu bedienen. Die Stromexporte drohen so zum Rettungsanker für deutsche Kohlekraftwerke zu werden.
Werden die Ausbauziele der Erneuerbaren Energien für 2020–2025 erreicht, wird zwar dieser Zuwachs die bis dahin vom Netz gehenden Atomkraftwerke leicht ersetzen. Die fossilen Energieträger im Stromsektor dürften von den Erneuerbaren hingegen kaum verdrängt werden. Im Gegenteil: Sollte die Nachfrage aus dem Ausland anhalten bzw. steigen, droht Deutschland seine Position als Europas größter Kohlestromexporteur zu festigen.
Ein geordneter Kohleausstieg wäre die sinnvollste Maßnahme, um Fehlinvestitionen in weitere Kohlekraftwerke zu vermeiden. Ein klimapolitisch motivierter Kohleausstieg könnte sich in Deutschland zunächst auf den Rückbau der umweltschädlichsten Braunkohlekraftwerke konzentrieren, zum Beispiel durch eine Beschränkung der Betriebszeiten auf 35 Jahre. Dies wäre nicht nur notwendig, um die Klimaziele für 2020 zu erreichen. Es hätte auch den ökonomischen Vorteil für alle Kraftwerksbetreiber, dass der Abbau der Überkapazitäten den Strompreis an der Börse steigen ließe und somit die Einnahmen aus dem Stromverkauf wieder stiegen. Die Wettbewerbsfähigkeit von Gaskraftwerken würde steigen. Solange die politischen Mehrheiten hierfür fehlen, sollten Maßnahmen vorangetrieben werden, die zumindest die Nutzung der Kohle im Stromsektor schrittweise zurückdrängen. Aufgrund der Überkapazitäten in der Stromerzeugung und dem drohenden Verfehlen der nationalen Klimaziele besteht die Notwendigkeit, dass die Bundesregierung entsprechende Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene vorantreibt.
Zuallererst sollte der europaweite Emissionshandel (EU-ETS) gestärkt werden, um die CO2-Preise zu erhöhen. Doch ist offen, ob von der EU in absehbarer Zeit Impulse in diese Richtung ausgehen. Daher sollte sich Deutschland anderen EU-Mitgliedstaaten anschließen und nationale Maßnahmen ergreifen, um die Kohle in der Stromerzeugung zurückzudrängen. Dazu gehört die Abschaffung von Subventionen für konventionelle Kraftwerke, zum Beispiel bei den Ausnahmen der EEG-Umlage für den Eigenverbrauch. Die Einführung von Emissionsvorschriften, wie sie etwa die USA umsetzen, und ein nationales Klimaschutzgesetz sollten in Betracht gezogen werden. Eine Gasstrategie, die die Rolle von Erdgas, Biogas, Biowasserstoff und Biomethan festlegt und stärkt, sollte ausgearbeitet werden. Da angesichts derzeitiger Überkapazitäten die Auslastung von Kohlekraftwerken neben den Exporten ins benachbarte Ausland vor allem auch vom inländischen Stromverbrauch abhängt, ist eine Politik des Stromsparens ein zentraler Baustein, um die Abhängigkeit von der Kohle in der Stromerzeugung abzubauen.
Die große klimapolitische Herausforderung liegt eindeutig in der Braunkohle. Sie ist die größte verbliebene billige fossile Energieressource innerhalb der EU mit ihren Vorkommen in Deutschland, Polen und der Tschechischen Republik. Anders als bei der Steinkohle gibt es keinen günstigen Ersatz auf den Weltmärkten, der den Ausstieg aus dem heimischen Bergbau zumindest volkswirtschaftlich rechtfertigt. Schon bald werden deutsche und EU-Politiker die Braunkohle als strategischen Pfeiler zur Sicherung der Stromversorgung sowie zur Stärkung des «Standorts EU» preisen. Die Herausforderung eines Ausstiegs aus der Braunkohle sollte daher nicht unterschätzt werden. Kein Industrieland der Erde hat jemals freiwillig riesige Vorkommen an billigen Ressourcen in der Erde gelassen. Doch der Braunkohleausstieg muss kommen. Klimapolitisch führt kein Weg daran vorbei.
Das von Arne Jungjohann und Craig Morris unter Mitarbeit von Thomas Gerke verfasste Paper „Braunkohle – Irrläufer der deutschen Stromerzeugung“ ist bei der Heinrich-Böll-Stiftung erschienen und kann hier als PDF heruntergeladen werden. Sie ist eine aktualisierte Neufassung der englischen Studie The German Coal Conundrum.
Das Artikelbild dieses Artikels stammt von Bert Kaufmann und ist als CC BY 2.0 lizensiert.
Julius
Werter ChrisIch bedanke mich zu Deinem Kommentar hier, auf der doch eher setlen kommentierten Luisa-Net-Seite. Im Gegensatz zu meiner wird auf der Luisa-Net-Seite setlen ein Kommentar niedergelegt, naja umso grf6sser die Freude.In Leipzig gibt’s wahrhaftig viel anzuschauen und zu erleben. Das kleine Braunkohleintermezzo war den auch eher zufe4lligerweise geschehen. Die Braunkohlegeschichte knfcpft an unsere Nachforschungen um die Schweizer Kohleff6rderung anno Zweiter Weltkrieg an, hierbei hauptse4chlich Industriehistorisches Interesse. Etliches ist fcber das Braunkohlethema, insbesondere auf der Seite auf meinem Blog verewigt. Interessant in Leipzig, Kohleff6rderung im grossen Stil zu erkunden. Ansonsten sind mir weitere Hintergrfcnde zu der Leipziger Kohleff6rderung ge4nzlich unbekannt. Einzig was die MIBRAG GmbH auf der Webseite zu erze4hlen weiss, ist mir scheu gele4ufig. Die WGT Hauptgeschichte ist auch im Blog verewigt und unter einsehbar.Liebi GrfcessliLuisa