Strategiewechsel in Kanada: Umweltschützer gehen in Ottawa von Haustür zu Haustür und verlassen so ihr eigenes Milieu, in dem sie zuvor schwebten. Das könnte auch in Deutschland mehr Menschen für den Klimaschutz mobilisieren.
Der Anschlag im Regierungsviertel in Ottawa überschattet derzeit alles. Doch die Stadt muss sich trotz des traurigen Ereignisses auf die Wahlen am 27. Oktober vorbereiten. Dann werden der Stadtrat und der Bürgermeister gewählt. Dabei wird auch darüber abgestimmt, wie viele Solarmodule die Stadt künftig auf den Dächern von Feuerwehren und Schulen installiert. Dass diese Frage einen so hohen Stellenwert bekommen hat, ist Umweltschützern zu verdanken, die neue Wege gehen.
Auch in Kanada sind Wahlprüfsteine und klassische Medienarbeit die üblichen Hebel für Umweltorganisationen, um ihre Anliegen im Wahlkampf unterzubringen. Mit den Prüfsteinen werden die Positionen von Kandidaten und Parteien abgefragt, und am Ende wird meist eine Wahlempfehlung abgegeben. Das war bisher auch in Ottawa so.
Doch Ecology Ottawa hat sich für einen Strategiewechsel entschieden. Die vor sechs Jahren gegründete Umweltorganisation hat sich den engen Austausch mit Bürgerinnen und Bürgern auf die Fahnen geschrieben, um ihre Ziele zu erreichen. Deshalb setzt Ecology Ottawa auf Canvassing. Freiwillige ziehen in Wahlkampfzeiten von Haustür zu Haustür und bitten die Anwohner in ihrem Viertel um Unterstützung – und um ihre Meinung.
In kurzen Gesprächen von einigen Minuten werden die Bewohner etwa gefragt, ob sie den Bau eines bestimmten Radwegs befürworten oder ob sie wollen, dass die Stadt einen Energiesparplan umsetzt. Mit der Haus-zu-Haus-Kampagne erreichen die Umweltschützer Tausende von potenziellen Wählerinnen und Wählern und schaffen es so, dass im Wahlkampf über Klima- und Umweltschutz geredet wird.
Zu sehr im eigenen Milieu unterwegs
Dass die Kampagne auf Hochtouren läuft, ist Graham Saul zu verdanken. Der Umweltstratege und frühere Entwicklungshelfer hat aus seinen langen Erfahrungen als Aktivist eine einfache Lehre gezogen: dass Menschen am besten im direkten Gespräch erreicht und überzeugt werden. Der persönliche Kontakt ist wertvoller als jede noch so schön formulierte E-Mail und jedes professionell gestylte Plakat.
Ecology Ottawa, von Saul im Jahr 2008 gegründet, ist eine lokale Umweltorganisation mit Graswurzelcharakter. Sie hat sich nicht weniger zum Ziel gesetzt als Ottawa zur grünsten Stadt Kanadas zu machen. Ihre Stärke liegt darin, dass sie vor allem mit Freiwilligen vor Ort zusammenarbeitet. In den wenigen Jahren ihres Bestehens hat sie es geschafft, ein Netzwerk von mehr als 30.000 Unterstützern aufzubauen – in einer Stadt mit 880.000 Einwohnern eine beträchtliche Zahl.
Natürlich ist das direkte Gespräch an Tausenden von Haustüren mühsam und aufwendig und verschlingt Ressourcen. „Auch deshalb konzentriert sich der traditionelle Ansatz kanadischer Umweltverbände auf die Beeinflussung von Expertendebatten und auf Medienarbeit“, sagt Saul. Aber der direkte Kontakt helfe, Themen im Wahlkampf zu setzen und Beziehungen zu neuen Unterstützern aufzubauen. Dafür bewegen sich die grünen Aktivisten aus ihrer Komfortzone heraus.
Klientelwechsel in Kanada
Selbstkritisch mit der eigenen Zunft stellt Saul fest, dass kanadische Umweltschützer zwar viel in den linksliberal geprägten Innenstädten unterwegs sind, sich aber nicht in die Vororte trauen, obwohl die häufig wahlentscheidend seien. Dort leben die meisten Stadtbewohner mit weniger Einkommen und weniger Bildung und auch viele New Canadians – Migranten und Angehörige ethnischer Minderheiten, zu denen die Umweltszene bislang kaum Kontakt hat.
Das ändert sich jetzt. Die Umweltschützer sprechen nicht mehr nur ihre Stammklientel an, die als Radfahrer, Bio-Käufer oder Solardach-Besitzer ohnehin die „grüne“ Sache unterstützen. Durch das direkte Gespräch an der Haustür suchen die Freiwilligen von Ecology Ottawa den Austausch mit Menschen in den Vorstädten und Außenbezirken, die gedanklich und kulturell bislang weiter weg von Öko-Themen sind. Obendrein wird ein schlagkräftiges Netzwerk mit Unterstützern und Sympathisanten aufgebaut, von denen viele die Organisation und ihre Ziele auch in Zukunft unterstützen dürften.
Ottawa, hier die Elgin Street: Umweltschützer klingeln an jeder Tür. (Foto: Trappy/Wikimedia Commons)
Etliche Befragte bieten auf Nachfrage an, die Umweltschutzorganisation in der täglichen Arbeit zu unterstützen. „Durch Canvassing finden wir mehr Freiwillige, die uns unterstützen wollen, als wir selbst anleiten und koordinieren können“, stellt Saul zufrieden fest. So hilft die Kampagne nicht nur dabei, ein bestimmtes Ziel im Wahlkampf zu erreichen. Sie stärkt obendrein die Strukturen der Umweltorganisation.
Die Idee kann auch in Deutschland funktionieren
In Deutschland scheiden sich die Geister an der Frage, ob das in Kanada und den USA weit verbreitete Canvassing auch hier funktioniert. Anders als dort gibt es hier größere Vorbehalte gegen den Haustürwahlkampf, auch wenn politische Parteien vereinzelt positive Erfahrungen machen.
Auch Graham Saul gibt zu, dass viele der Mitglieder sich zum Canvassing erst mal überwinden müssen. Doch ein wichtiger Unterschied ist, dass Ecology Ottawa nicht für eine bestimmte Partei wirbt, sondern als zivilgesellschaftlicher Akteur für konkrete Verbesserungen vor Ort eintritt. Mit ihrer Kampagne bringt die Organisation zutage, dass viele Wählerinnen und Wähler eine umweltfreundlichere Verkehrs- und Energiepolitik vom Stadtrat und dem Rathaus erwarten. Damit erhöht sie den Druck auf Politiker aller Parteien, sich für „grüne“ Anliegen auszusprechen.
Man darf gespannt sein, welchen Einfluss die Kampagne von Ecology Ottawa auf die Kommunalwahl und darüber hinaus hat. Graham Saul will seine Erfahrungen Ende November auf der Konferenz „CanRoots – Organizing for Action“ in Toronto vorstellen. Schon jetzt erhalten die Umweltschützer Vorschusslorbeeren für ihr cleveres Vorgehen. Und der traditionsreiche Ottawa Citizen, eine alles andere als linksliberale Tageszeitung, macht in der Arbeit von Ecology Ottawa eine der interessantesten Kampagnen dieses Wahlkampfs aus.
Ginge es nach Saul, dann würde seine Kampagne dazu beitragen, ein Ziel zu erreichen, dass in Deutschland nicht mehr erstritten werden muss: „Die Konservativen in Kanada sind gegen aktiven Klimaschutz. Da ist Deutschland unser Vorbild, wo Klimaschutz über Parteigrenzen hinweg als Herausforderung verstanden und angepackt wird.“
Dieser Beitrag erschien zuerst bei den Klimarettern.