Anlässlich der Ausstellung energie.wenden hat das Deusche Museum in München ein Porträt über mich verfasst. Das Deutsche Museum in München eröffnet im Februar 2017 die Ausstellung energie.wenden. In der aktuellen Ausgabe von Kultur & Technik (1/2017), dem Magazin des Museums, hat Sabrina Landes ein Porträt über mich verfasst. Darin geht es natürlich um die Energiewende. Aber auch darum, was mich in meiner Arbeit als Lobbyist für eine Energiewende in Bürgerhand antreibt.
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Arne Jungjohann ist Autor, Vortragsreisender und … Lobbyist. Er agiert im Auftrag seines Gewissens und rührt die Werbetrommel für eine nachhaltige Energiewirtschaft in Bürgerhand.
Wahrscheinlich werden wir auch diesen Winter in einigermaßen gut geheizten Räumen überleben, die Lichter werden nicht ausgehen und die wichtigsten deutschen Konzerne nicht abwandern, obwohl – oder vielleicht auch, weil – die »deutsche Energiewende« im Großen und Ganzen gut läuft. So gut, dass Wissenschaftler und Umweltverbände aus andern Ländern dieser Erde fast ein wenig neidisch sind und nur zu gern herausfinden würden, welches Geheimrezept hinter dem Erfolg steckt. Der Stuttgarter Politikwissenschaftler Arne Jungjohann und sein Koautor Craig Morris haben daher ihr neuestes Buch Energy Democracy gleich auf Englisch verfasst: Für ihre amerikanischen Leser erzählen die beiden Autoren darin die Geschichte eines Aufbruchs aus gefühlter Ohnmacht hin zu mehr Mitsprache und Beteiligung. »Schönfärberei« werfen ihm da seine Kritiker in Deutschland vor, denen der Umbau der Energiewirtschaft zu langsam geht. Jungjohann aber sieht, was schon erreicht wurde, und er meint, das wäre doch schon einiges.
Drehen wir das Rad der Geschichte einmal um vierzig Jahre zurück: Es war kalt an jenem Morgen des 18. Februar 1975, als Bürgerinnen und Bürger der Umgebung, unterstützt von einigen Atomkraftgegnern, sich in einem Wäldchen bei Wyhl versammelten. Seit 1973 hatte sich der Widerstand gegen das geplante Atomkraftwerk im Kaiserstuhl formiert – nun waren die ersten Bagger angerückt. Die Demonstranten blockierten die Baumaschinen und lieferten sich in den folgenden Jahren einen erbitterten Kampf mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, Hans Filbinger. Der sah in der stetig wachsenden Zahl der Protestierenden »Pöbel« und »Verbrecher«, denen der Staat sich nicht beugen dürfe. Was er nicht sah: Es waren vor allem besorgte, eher konservative Einheimische, die sich dem Großprojekt entgegenstellten. Das jahrelange unerbittliche Vorgehen gegen die Protestbewegung führte dazu, dass sich immer mehr Menschen solidarisierten und die Demonstrationen von Jahr zu Jahr größer wurden. Einen Schlussstrich unter den jahrelang währenden Streit zog erst Filbingers Nachfolger Lothar Späth, indem er das Projekt 1983 sang- und klanglos beerdigte. Der Konflikt um das Atomkraftwerk Wyhl gilt heute als die Geburtsstunde der deutschen Umweltbewegung. Bürgerinnen und Bürger begannen, sich ihre eigene Expertise aufzubauen, die ersten Umweltinstitute wurden gegründet. Eine neue Partei nahm sich des Themas an. Der Protest in Wyhl setzte einen langen Prozess des Umdenkens in Gang. Weg vom gängelnden Helikopterstaat, der seine Bürger bestenfalls alle vier Jahre an der Wahlurne nach deren Meinung fragt, hin zu einer Politik der Beteiligung.
Arne Jungjohann war 1983 zehn Jahre alt und hat seine Wochenenden als Pfadfinder lieber auf Radwanderungen durch die Lüneburger Heide als im heimischen Kinderzimmer verbracht. Später studierte er Politik und Volkswirtschaft. Das Thema »Energie« beschäftigt ihn seit der Debatte um die Einführung einer ökologischen Steuerreform Ende der 1990er Jahre. Heute schreibt, reist und redet Jungjohann, um für ein energiepolitisches Umdenken hier und anderswo zu werben. Er betreibt Lobbyarbeit für eine Idee. » Die deutsche Energiewende ist im internationalen Vergleich einzigartig, weil sie eine Bürgerenergiewende ist«, erklärt Jungjohann. In Deutschland, so Jungjohann, habe es nämlich einen Mentalitätswechsel gegeben, »genau das ist es, was uns von den anderen Staaten unterscheidet.«
Die Veränderung vollzog und vollzieht sich kaum merklich. Sie kam auf derart leisen Sohlen daher, dass sogar die Energiekonzerne den Trend übersahen: Immer mehr Menschen wollten auf erneuerbare Energien umsteigen. Im Jahr 2012 wurde rund die Hälfte aller Solar- und Biogasanlagen von Kleininvestoren, Genossenschaften, Bauern oder Bürgern gebaut. »Dass der Wandel von den alten zu den neuen Technologien auch eine Demokratisierung der Energieversorgung mit sich bringt, das gibt es sonst nicht – mit Ausnahme vielleicht von Dänemark.«
Möglicherweise konnte die etablierte Energiewirtschaft das Phänomen so lange übersehen, weil es sich nicht in städtischen Ballungsräumen etablierte. Der Wandel erfasste zuerst das Land. Die Ursache liegt auf der Hand: Mietern ist es relativ egal, von wem sie ihren Strom beziehen. Sie interessieren sich meist für die Kosten der Stromversorgung. Wer ein eigenes Haus oder Unternehmen besitzt, hat hingegen einen persönlichen Mehrwert von der Investition in eine Solar-, Windkraft- oder Biogasanlage, sei dieser in den ersten Jahrzehnten auch nur ideeller Natur.
Den Boom ermöglicht hat das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das die rot-grüne Koalition im Jahr 2000 verabschiedete. Und damit ist Jungjohann bei einer weiteren Besonderheit: das politische System in Deutschland. »Im Vergleich zu den USA haben wir hier einen kooperativen und exekutiven Föderalismus. Die Parteien müssen immer wieder Kompromisse finden. Auch nach Regierungswechseln gibt es dadurch keinen grundlegenden Politikwechsel.« Verlässlichkeit und Vertrauen sind der Nährboden für langfristige Investitionen.
»Bürgerinnen und Bürger, neue Investoren und Kommunen haben die Energiewende vorangetrieben und betreiben eigene Wind- und Solarparks, Biogasanlagen, Heizkraftwerke und mancherorts gar kleine Wärmenetze«, sagt Arne Jungjohann. »Energiepolitische Entscheidungen werden heute nicht mehr einfach von oben nach unten durchbefohlen. Nach dem Reaktorunglück in Fukushima berief die Bundeskanzlerin eine 17-köpfige Ethikkommission mit dem Ziel ein, neben den technischen auch die ethischen Aspekte der Kernenergie zu prüfen und einen gesellschaftlichen Konsens zum Atomausstieg vorzubereiten.«
Arne Jungjohann berät weltweit Politiker, Wissenschaftler und Institutionen, die wissen wollen, wie sie den Einstieg in erneuerbare Energien durchsetzen können. »Indem ihr eure Bürgerinnen und Bürger an den Entscheidungen beteiligt«, erklärt ihnen Jungjohann. In Ländern wie den USA und England werden wichtige energiepolitische Entscheidungen immer noch nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen. US-amerikanische Öl- und Gasfirmen können trotz des Widerstands der Bevölkerung ganze Landstriche »durchfracken«. Die britische Regierung subventioniert den Bau neuer Kernkraftwerke, obwohl die Zustimmung der Bevölkerung zur Atomkraft auf immer neue Tiefststände rutscht. Bürgerenergie steckt in diesen Ländern noch in den Kinderschuhen. In den USA kämpfen viele Hausbesitzer um das Recht, den Strom ihres Solardachs in das öffentliche Netz einzuspeisen.
Ein wenig wirkt Arne Jungjohann wie ein Don Quichotte, der mit Worten gegen die Windmühlen der Weltpolitik zieht. Er bezeichnet sich selbst als »gelassen und duldsam«. Wo andere rasche Maßnahmen und Entscheidungen fordern, verteidigt er den langen Atem, den demokratische Prozesse eben brauchen: »Das ist etwas für Menschen mit der Mentalität eines Marathonläufers.« Jungjohann ist Optimist. Er weiß, dass die Herausforderungen so gigantisch sind, dass man an ihnen verzweifeln könnte. Und deshalb sind ihm vor allem die Beispiele wichtig, die zeigen, wie schnell sich Dinge verändern können. Er ist davon überzeugt, dass sich sein Einsatz lohnt. »Es macht einen Riesenunterschied für Millionen von Menschen, ob sich die Erde um zwei, drei oder mehr Grad Celsius erwärmt«, sagt er und ergänzt: »Mein Sohn wird mich vielleicht einmal fragen: »Warum habt ihr damals nichts getan gegen den Klimawandel. Ihr habt es doch gewusst und gesehen.« Da will ich ihm aufrecht ins Gesicht gucken und sagen können: ›Es waren ziemlich dicke Bretter zu bohren, aber ich habe es immerhin versucht‹.«
Der Artikel erschien zuerst in Kultur & Technik – Das Magazin aus dem Deutschen Museum, Ausgabe 1/2017: Die Energiedebatte.