US-Klimaschützer haben für 2015 klare Ziele, ergab eine Umfrage. Auffällig: Sie wollen vor allem die eigene Bewegung stärken. Wir haben dieselbe Umfrage mit Schlüsselfiguren der deutschen Öko-Szene durchgeführt. Im folgenden analysieren und vergleichen wir die Ergebnisse.
Es ist das Jahr, in dem die Weltgemeinschaft einen neuen Weltklimavertrag abschließen will. Die globale Klimabewegung hat begonnen, Strategien zu entwickeln, um den Paris-Gipfel im Dezember zu begleiten. Aber die transnationale Zusammenarbeit ist von Schwierigkeiten geprägt: So unterschiedlich die Energiesektoren der Länder aussehen, so sehr unterscheiden sich auch die Schwerpunkte derer, die sich für den Klimaschutz einsetzen.
Uns hat interessiert: Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten gibt es zwischen den Bewegungen in einem solch wichtigen Jahr? Eine zu Jahresbeginn auf dem US-Klimablog Grist veröffentliche Umfrage unter US-amerikanischen Klimaschützern ergab etwa, dass diese 2015 vor allem ihre eigene Bewegung stärken wollen. Inhaltlich steht dieses Jahr der Kampf gegen einen weiteren Pipeline-Ausbau und gegen verstärkte Öl- und Gasförderung im Vordergrund.
Wir haben die Ergebnisse zum Anlass genommen, die gleiche Umfrage mit Schlüsselfiguren der deutschen Klimabewegung durchzuführen. Repräsentativ sind beide Umfragen mit nur rund 15 Befragten nicht – da allerdings jeweils Vordenker von der Bewegung, teils auch aus Wissenschaft und Politik, ausgewählt wurden, sind die Ergebnisse qualitativ interessant und aussagekräftig. Wir haben offen gefragt. Die Ergebnisse fassen also zusammen, welche Prioritäten die Experten von sich aus benennen. Schon einmal vorab: Die Unterschiede zwischen den beiden Ländern sind deutlich.
USA: Klimaschutz und soziale Frage
Die US-Bewegung will sich 2015 in erster Linie selbst stärken. Dabei soll die Bewegung zahlenmäßig wachsen, aber auch thematisch vielfältiger werden, etwa soziale Fragen mehr berücksichtigen. Insbesondere nennen die Befragten die Verknüpfung von Klimaschutz und Antidiskriminierung sowie Geschlechtergerechtigkeit.
Für die Mehrheit der Befragten ist außerdem der Kampf gegen den weiteren Ausbau von fossilen Energien und die dafür benötigte Infrastruktur von hoher Priorität. Sie nennen als Ziele für 2015 entweder den Kampf gegen einzelne Projekte wie die Keystone-XL-Pipeline oder gegen bestimmte Branchen, etwa die Kohleverstromung oder die Ölindustrie. Andere wieder haben vor, sich gegen Technologien wie das Fracking zu engagieren.
Die Hälfte der Befragten will mit ihrer Arbeit dazu beitragen, dass bestehende Gesetze zur Reduzierung von Treibhausgasen konsequent umgesetzt werden. Das zielt vor allem darauf ab, der Umweltagentur EPA im Kampf gegen klagewillige Energiekonzerne und widerspenstige Regierungen der Bundesstaaten zur Seite zu stehen. In den Regionen arbeiten Aktivisten auch daran, neue Klimagesetze in den Parlamenten einzelner Bundesstaaten voranzubringen.
Die deutschen Klimaschützer sind beim Kampf gegen die fossile Wirtschaft stärker auf einen bestimmten Energieträger festgelegt: die Kohle. Es ist die oberste Priorität der befragten Klimaschützer in Deutschland, den Kohleaussteig zu verstetigen und zu beschleunigen. Dazu seien insbesondere eine Reform des Strommarktes und ein neues Klimaschutzprogramm notwendig. Flankiert werden sollten diese nationalen Maßnahmen von einer Reform des EU-Emissionshandels.
Deutschland hat internationalen Schwerpunkt
Gleich danach lösen sich die deutschen Aktivisten bereits von den nationalen Fragen. Mehr als die Hälfte der Befragten gibt an, mit ihrer Arbeit im Jahr 2015 dazu beitragen zu wollen, die internationalen Klimaverhandlungen Ende des Jahres in Paris zu einem Erfolg zu führen. Ziel sei es, die Eckpunkte eines neuen Klimavertrages auszuhandeln und insbesondere die Klimafinanzierung zu konkretisieren.
Knapp die Hälfte der Befragten sieht es zudem als wichtig an, die Energiewende über den Strommarkt hinaus auszuweiten. Auch im Verkehrs- sowie im Wärme- und Kältesektor soll der Umbau weg von den fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energien und Effizienz vorangetrieben werden.
Bei einem Vergleich der beiden Umfragen werden einige grundlegende Unterschiede erkennbar:
1. In den USA gibt es keinen Konsens zur Rolle der Atomkraft. Während vor einigen Jahren noch heftig über den genauen Zeitplan gestritten wurde, ist der Ausstieg aus der Atomkraft in Deutschland mittlerweile parteiübergreifender Konsens. In den USA ist man davon weit entfernt. Aus deutscher Sicht fehlt deshalb ein wichtiger Punkt in den Antworten der US-Amerikaner: Keiner der Befragten erwähnt die Zukunft der Atomkraft. In der US-Umweltbewegung lassen sich zwar große Sympathien für den deutschen Atomausstieg ausmachen. Doch in der Abwägung, wo sie mit ihren knappen Mitteln am meisten erreichen können, sehen die US-Aktivisten ihre Hauptaufgabe vor allem im Kampf gegen die fossile Lobby. Die Frage nach der Rolle der Atomkraft scheint zu sehr vom eigentlichen Ziel – Klimaschutz durch weniger fossile Energien – abzulenken, dass diese erst gar nicht thematisiert wird.
2. Die Ziele der US-amerikanischen Klimabewegung gehen über Klimaschutz hinaus. Obwohl Deutschland hinter den USA weltweit das Einwanderungsland Nummer 2 ist, spielen Fragen von Ethnien und Gender in den Antworten der Befragten aus Deutschland keine Rolle. Dabei machen Einwanderer heute bereits 10 Prozent der hiesigen Bevölkerung aus. Ganz im Gegensatz dazu die USA, wo ethnische und sozial benachteiligte Gruppen häufig unter den Folgen des fossilen Energiesystems leiden. Für die US-Klimabewegung wird die soziale Frage wichtiger, auch als Vehikel dafür, die eigene Bewegung zu stärken.
3. Die deutsche Klimabewegung ist stark international orientiert. Die Mehrheit der Befragten aus Deutschland gab an, dass Europa und die internationale Diplomatie wichtige Schauplätze ihrer klimapolitischen Aktivitäten sind. Das unterscheidet sie von ihren US-Kollegen. Die USA sind relativ unabhängig in ihrer Energiepolitik und koordinieren diese, wenn überhaupt, nur mit den beiden unmittelbaren Nachbarn Kanada und Mexiko. Dass Deutschland die Energie- und Klimadebatte mit einem stärkeren internationalen Fokus führt, dürfte auch auf die politische und geographische Lage zurückzuführen sein. Deutschland liegt im Herzen Europas, grenzt unmittelbar an neun Nachbarländer und hat direkte Stromleitungen nach Schweden und Norwegen.
Noch wichtiger ist allerdings die historisch-politische Einbettung Deutschlands in die EU. Historisch, da die Gründung der EU nach dem zweiten Weltkrieg auf der Kohle- und Stahlunion basiert, politisch, da die umwelt-, energie- und klimapolitische Gesetzgebung der EU mittlerweile stark die nationale ihrer Mitgliedsstaaten beeinflusst. Die Klimabewegung in Deutschland ist sich darüber bewusst, dass der Erfolg ihrer Arbeit auch von dem in Brüssel gesetzten Rahmen abhängt.
4. Klimaschützer in Deutschland treiben neue Gesetze voran. Ihre US-amerikanischen Kollegen verzichten darauf – und wollen stattdessen erst einmal die eigene Bewegung stärken. Die politischen Voraussetzungen sind von Grund auf verschieden in den beiden Ländern. In Deutschland gibt es einen parteiübergreifenden und auch gesellschaftlichen Konsens über die langfristigen Ziele der Energiewende: Priorität für erneuerbare Energien, den Ausstieg aus der Atomkraft, ambitionierter Klimaschutz.
In den USA gibt es diesen Konsens nicht. Die Parteien streiten heftig um die grundsätzliche Ausrichtung der Energie- und Klimapolitik. Viele Republikaner, gegen deren Widerstand ein Klimagesetz kaum verabschiedet werden kann, bezweifeln den Klimawandel oder behaupten, es sei zu teuer, ihn noch zu verhindern. Der letzte ernsthafte Versuch, ein US-Klimagesetz zu verabschieden, scheiterte im Jahr 2010. Seitdem regiert im Kongress der Stillstand. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass US-Aktivisten darauf setzen, ihre klimapolitischen Ziele außerhalb des Kongresses – im Widerstand gegen konkrete Projekte und in den Parlamenten der Bundesstaaten – zu erreichen.
5. In den USA ist die Lobby der fossil-atomaren Beharrungskräfte deutlich stärker. Die USA verfügen über große Vorkommen an Öl, Gas und Kohle, von deren Ausbeutung mächtige Firmen profitieren. Das politische System der USA ist zudem sehr viel offener für den Einfluss von Lobbyisten. Für ihre Wahl sind Politiker weniger auf ihre Partei angewiesen als auf die finanzielle Unterstützung durch Wahlkampfspenden. Parteien spielen tendenziell eine schwächere, die Wahlkampffinanzierung durch Unternehmen eine tendenziell größere Rolle als in Deutschland. Dadurch ist die fossile Lobby in den USA politisch sehr einflussreich. In Deutschland werden mit der Ausnahme von Braunkohle die meisten Energieträger importiert. Folglich existiert für diese ökonomischen Interessen nur eine vergleichsweise schwache Lobby. Zudem hat das Anwachsen der Erneuerbaren-Energien-Branche auch dazu geführt, dass eine einflussreiche Lobby entstanden ist, die für ihre Interessen streitet. Diese politisch-ökonomischen Unterschiede erklären, warum Klimaschützer in den USA gegen mächtigere Widerstände kämpfen.
Der große Unterschied in der energiepolitischen Auseinandersetzung liegt am Ende darin, dass sich Deutschland mit einem festen Ziel vor Augen bereits auf den Weg gemacht hat. Das Ziel ist die Energiewende, also der Umstieg auf erneuerbare Energien. Der politische Streit dreht sich nicht um die Frage, ob, sondern wie schnell der Umstieg gelingen soll. In den USA wird dagegen noch immer debattiert, wohin die Reise überhaupt gehen soll.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf klimaretter.info
Arne Jungjohann ist Politikwissenschaftler, freischaffender Berater und Gastautor bei klimaretter.info. Craig Morris ist Journalist und bloggt täglich auf Renewables International sowie auf Energytransition.de. Zusammen schreiben sie ein Buch zur deutschen Energiewende für den US-Markt.
bitknecht
Falls sich niemand traut, bei der originalfassung gibt es schon eine kleine Debatte 😉
http://www.klimaretter.info/protest/hintergrund/18375-umfrage-klimabewegung-usa-deutschland