Die jüngsten Landtagswahlen verändern die Koalitionslandschaft in Deutschland, neue Konstellationen durchbrechen tradierte Muster. Im föderalen Kontext verändert sich durch die neue Vielfalt bspw. die Koordination der Landesregierungen im Bundesrat. Ein Blick auf die sich ändernden Koalitionskonstellationen, damit verbundene Folgen und erste Anzeichen eines Generationswechsels auf Landesebene bei Bündnis 90/Die Grünen.
Das Wahljahr 2017 begann für die Grünen wechselhaft. In Schleswig-Holstein erzielten sie mit 12,9 Prozent ein überdurchschnittliches Ergebnis bei der Landtagswahl und bleiben hinter CDU und SPD klar dritte Kraft im Bundesland (Bukow 2017a). Nach nur sieben Wochen Verhandlungszeit einigten sich die Nordgrünen mit CDU und FDP auf die Bildung einer Jamaika-Koalition (CDU/Grüne/FDP). Sie verantworten nun im bundesweit einzigen schwarz-grün-gelben Bündnis das Finanzministerium sowie das Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung. Trotz Koalitionswechsel bleiben damit im Norden die Führungspersonen sowie (weitgehend) die politischen Verantwortlichkeiten bei den Grünen stabil. In Nordrhein-Westfalen hingegen landeten Bündnis 90/Die Grünen bei der Landtagswahl im Mai mit 6,4 Prozent der Zweitstimmen nur knapp über dem Niveau von 2005 und finden sich nach sieben Regierungsjahren – ebenso wie der Koalitionspartner SPD – in der Opposition wieder (Bukow 2017b). Beide Wahlergebnisse sind stark landespolitisch geprägt. Die dritte Landtagswahl im Saarland, bei der die Grünen bei fast stabilem Stimmergebnis den Wiedereinzug verpassten, ist hingegen stark vom bundesweiten Trend einer steigenden Wahlbeteiligung beeinflusst.
Der Ausgang dieser Wahlen hat Auswirkungen auf das Innenleben der Partei auf den verschiedenen Ebenen, die es näher zu betrachten lohnt. Zwei Aspekte sind von besonderem Interesse: Die sich ändernden Koalitionskonstellationen, in denen die Partei bundesweit agiert, sowie die personelle Ebene der (Vize-)Ministerpräsident/inn/en und die damit verbundenen, ersten Anzeichen eines Generationswechsels auf Landesebene.
Grüne Koalitionskonstellationen
Schon seit einigen Jahren ist ein Trend zu Dreierkonstellationen auf Landesebene erkennbar, der sich mit der Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein fortsetzt. Verfehlen klassische Zweierbündnisse eine Mehrheit, ist die Große Koalition (d.h. aus CDU und SPD) nicht länger die einzige reelle Regierungsoption. Dies bleibt nicht ohne Folgen: So ist anzunehmen, dass das Regieren in Koalitionen mit drei Partnern komplexer ist, da nicht zwei, sondern drei Regierungspartner kooperieren und ihren jeweiligen Anliegen gerecht werden müssen. Dies gilt in besonderer Weise für die länderübergreifende Koordination mit anderen Ländern und dem Bund, z.B. bei der Mitwirkung im Bundesrat. Dennoch sind in Folge der Pluralisierung des Parteiensystems Dreierkoalitionen eine zunehmend notwendige, aber auch sinnvolle Option der Regierungsbildung in Deutschland.
Auffällig ist, dass bundesweit keine Dreierkonstellation ohne Beteiligung der Grünen existiert. Den Grünen kommt eine zentrale Rolle für die Regierungsbildung zu (Switek 2015). Gegenwärtig regieren die Grünen in je fünf Zweier- und Dreierkoalitionen (vgl. Abbildung 1). Gerade durch das Eingehen von neuen Koalitionen eröffnen sich die Grünen hierbei Spielräume, um ihre Ziele auch jenseits der klassischen rot-grünen Koalitionen in den Ländern umzusetzen. Dies ist eine Reaktion auf die zunehmende Pluralisierung der Parlamentslandschaft und fehlender Mehrheiten für die tradierten Koalitionsmuster (Switek 2017).
Die Zusammenstellung zeigt die große Vielfalt, in der Landesgrüne in Regierungsverantwortung stehen. Mit dem Ende von Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen und dem Wechsel von der Küsten- zur Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein verschiebt sich das innerparteiliche Gesamtgefüge der G-Länder.
Erstens verlieren die Grünen mit der Regierungsbeteiligung in Nordrhein-Westfalen ein großes Land, das zuletzt eine wichtige Rolle für die parteiinterne Koordination spielte. In der sogenannten G-Koordination wurden unter der Federführung von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg bundespolitische Vorhaben wie das Tagesgeschäft des Bundesrates mit der Spitzenrunde des G-Kamins abgestimmt, aber auch brisante Grundsatzfragen wie die Flüchtlings- und die Steuerpolitik (Jungjohann 2016). Die Organisation dieser Abstimmungsprozesse zwischen Landes- und Bundesgrünen ist aufwendig und erfordert Zeit, Personal und politisches Fingerspitzengefühl. Es ist kein Zufall, dass das grün-schwarze Baden-Württemberg und das rot-grüne Nordrhein-Westfalen diese Servicefunktion übernommen haben: Sie sind groß, stehen für unterschiedliche regionale und strömungspolitische Ausrichtungen innerhalb der Partei und verfügen über guten Zugang ins jeweilige Lager von Union bzw. SPD. Dagegen haben Grüne in den G-Ländern, in denen sie als kleiner Koalitionspartner in einem kleinen Land nur über wenige Ressorts verfügen, kaum die Ressourcen, um Bundesratsvorgänge verschiedenster Politikfelder zu koordinieren. Mit dem Ende der rot-grünen Regierung in Nordrhein-Westfalen fällt dieses Land für die Koordinierungsrolle aus. Dass die Regierungsgrünen Baden-Württembergs fortan die Koordination alleine organisieren, ist schwer vorstellbar, andere müssen hier künftig stärker mitwirken.
Zweitens verschiebt sich die koalitionspolitische Zusammensetzung der G-Länder in ihrer Summe. Noch 2013 waren alle sechs Koalitionen, in denen die Grünen damals mitregierten, Regierungen mit der SPD. Sie konnten damit klar der A-Seite zugeordnet werden. Das änderte sich zunächst mit der Bildung von Schwarz-Grün in Hessen (2014) und später mit Grün-Schwarz in Baden-Württemberg (2016) sowie der Kenia-Koalition (CDU/SPD/Grüne) in Sachsen-Anhalt (2016). Mit dem Ende von Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen scheidet zum einen das größte und einflussreichste G-Land der rot-grünen Länder aus. Dies ist nicht nur für die innergrüne Koordination bedeutsam – die Zusammenarbeit mit dem Düsseldorfer Koalitionspartner bot den Grünen häufig wertvolle Einblicke in die Debatten der SPD, weil die nordrhein-westfälische Staatskanzlei unter Hannelore Kraft (zusammen mit Hamburg) die Bundesratskoordinierung auf Seiten der SPD übernahm. Zum anderen wechselt mit Schleswig-Holstein ein G-Land von der A- auf die B-Seite. Mittlerweile regieren die Grünen in sechs Fällen als Juniorpartner einer SPD-geführten Regierung (bzw. in Thüringen von der Linkspartei) auf der A-Seite. In vier Fällen sind die Grünen Teil der B-Seite: In Hessen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein agieren sie als Juniorpartner einer CDU-geführten Koalition, in Baden-Württemberg führen sie die grün-schwarze Koalition an.
Durch die ebenso zahlreichen wie vielfältigen Beteiligungen an Landesregierungen bleiben die Grünen im Bundesrat eine einflussreiche Kraft (Jungjohann 2017). Inwiefern die koalitionäre Flexibilität auch von der grünen Wählerschaft honoriert wird, bleibt abzuwarten. Das Regieren mit verschiedenen Koalitionspartnern dürfte jedoch die Komplexität der internen Koordination zwischen Bundes- und Ländergrünen in jedem Fall erhöhen. Es spiegelt gleichzeitig die politische Großwetterlage wider: Weil keine Seite im Bundesrat eine Gestaltungsmehrheit hat, steigt die Notwendigkeit, lagerübergreifende Kompromisse einzugehen und themenbezogen-situative Bündnisse zu schließen.
Spitzenpersonal und Generationenwechsel
Im bundesdeutschen Föderalismus spielen die Landesregierungen die zentrale Rolle auf Landesebene. Neben den Ministerpräsidentinnen/präsidenten sind dabei deren Stellvertreter/innen (Vize-Ministerpräsident/in, nachfolgend: VMP) in der Runde der Minister/innen hervorgehoben. Diese Position wird in der Regel vom Juniorpartner gestellt. Auch wenn die Funktion des VMP verfassungsrechtlich nicht definiert ist, kommt ihr im politischen Alltag eine große Bedeutung zu: Erstens sind VMPs in den meisten Fällen der ranghöchste Ansprechpartner für den Koalitionspartner und agieren somit als oberste Instanz für die grünen Ressorts gegenüber der Staatskanzlei des Seniorpartners. Zweitens fällt dem VMP auch in den Reihen des eigenen Landesverbandes und dem Zusammenspiel zwischen Regierungsgrünen, Fraktion und Partei eine Führungsposition zu, die ebenfalls weder verfassungsrechtlich noch vom Parteiengesetz definiert ist. Sie kann sich darin äußern, dass ein VMP Führung sowohl in programmatischer und strategischer Hinsicht als auch in der Personalpolitik ausübt (Grunden 2014, S. 26). Drittens sind VMPs der zentrale Akteur für ihren Landesverband in der föderalen Arena (etwa für die G-Koordination). Ähnlich wie die Ministerpräsidenten vertreten die VMPs gegenüber dem Bund und der Bundespartei die Landesinteressen, insbesondere wenn es an der Mitwirkung des Landes an der Bundesgesetzgebung über den Bundesrat geht.
Aus diesen Gründen – und mit Blick auf die inner- wie zwischenparteiliche Vernetzung – lohnt ein Blick auf die VMPs. Die grünen VMPs und der MP gehören durchweg zum Spitzenpersonal ihrer jeweiligen Landesverbände. In den meisten Fällen waren sie über viele (Oppositions-) Jahre hinweg die Vorsitzenden ihrer Landtagsfraktion. In dieser Zeit haben die Akteure politisches Kapital angehäuft, sich Bekanntheit und Anerkennung erarbeitet, Durchsetzungsstärke erlernt, Netzwerke aufgebaut und sich zu Generalisten entwickelt. Fast alle heutigen VMPs von Bündnis 90/Die Grünen waren in der Opposition Fraktionsvorsitzende und wurden als solche von ihrer Landespartei im Wahlkampf zum Spitzenkandidaten gewählt – der Aufstieg in diese zentrale landespolitische Position erfolgt also in der Regel über eine parlamentarische Karriere. Einzig Hamburg und Rheinland-Pfalz weichen von diesem (nicht nur für die Grünen) typischen Pfad ab. In Hamburg wurde die langjährige Landesvorsitzende Katharina Fegebank Wissenschaftssenatorin und übernahm das Amt der Zweiten Bürgermeisterin. In Rheinland-Pfalz traten die Grünen direkt aus der außerparlamentarischen Opposition in die Regierung ein, so dass die Spitzenkandidatin Eveline Lemke aus der Position der Parteivorsitzenden Wirtschaftsministerin und VMP wurde.
Diese grob skizzierten Karrierepfade deuten darauf hin, dass die Betreffenden eine informelle Machtposition in der Partei innehaben, die durch den Eintritt in die Regierung und den damit verbundenen Zuwachs an (administrativen und personellen) Ressourcen gefestigt werden dürfte. Zugleich hat diese vorrangig parlamentarische Erfahrung der VMPs auch das Fundament dafür gelegt, dass das aktuelle Spitzenpersonal der G-Länder auf eine langjährige Zusammenarbeit zurückblicken kann. Aus dieser Zeit kennen sich die Akteure persönlich sehr gut, u.a. durch die Fraktionsvorsitzendenkonferenzen, die 2001 ins Leben gerufen wurden und halbjährlich stattfinden. Die Hälfte der grünen (V)MPs kennen sich aus diesen Zusammenhängen seit mehr als 15 Jahren: Winfried Kretschmann (BW), Karoline Linnert (HB), Tarek Al-Wazir (HE), Stefan Wenzel (NI) und Sylvia Löhrmann (NW). In dieser Zeit wurden persönliche Beziehungen aufgebaut und das Fundament für die später vertrauensvolle Zusammenarbeit der Akteure gelegt, die heute die G-Koordination prägt.
Der Rückzug langjähriger Spitzenpolitikerinnen wie Eveline Lemke (Rheinland-Pfalz, 2016) und Sylvia Löhrmann (Nordrhein-Westfalen, 2017) ist ein Hinweis auf den bevorstehenden Generationenwechsel von Bündnis 90/Die Grünen. Dieser Wechsel wird die Landesverbände unterschiedlich betreffen und hängt von der persönlichen Lebensplanung, der Dauer der jeweiligen Regierungsbeteiligung und dem Ausgang der nächsten Wahlen ab. So dürften sich Spitzenpolitiker/innen, die mehr als 15 Jahre in diversen Funktionen in Oppositions- und Regierungszeiten agiert haben, nach verlorenen Wahlen eher zurückziehen. Dagegen stehen in Hamburg, Thüringen und Berlin drei jüngere Politikerinnen an der Spitze der grünen Regierungsverantwortung, die der Führungsebene der Regierungsgrünen in den Ländern ein junges und weibliches Gesicht verleihen.
Literatur
Bukow, Sebastian (2017a). Landtagswahl Schleswig-Holstein. Ergebnisse und Analysen. Heinrich-Böll-Stiftung.
Bukow, Sebastian (2017b). Landtagswahl Nordrhein-Westfalen. Ergebnisse und Analysen.Heinrich-Böll-Stiftung.
Grunden, Timo (2014). Informelle Machtarchitekturen im parlamentarischen Regierungssystem – Zur Analyse der Entstehung, Funktion und Veränderung informeller Institutionen. In: Stephan Bröchler und Timo Grunden (Hrsg.), Informelle Politik. Konzepte, Akteure und Prozesse, S. 17-49. Wiesbaden: Springer VS.
Jungjohann, Arne (2016). Grün Regieren. Eine Analyse der Regierungspraxis von Bündnis 90/Die Grünen. Heinrich-Böll-Stiftung.
Jungjohann, Arne (2017). Analyse: Grünes Stimmgewicht im Bundesrat. Heinrich-Böll-Stiftung.
Switek, Niko (2015): Bündnis 90/Die Grünen. Koalitionsentscheidungen in den Ländern. Baden-Baden: Nomos.
Switek, Niko (2017). Grüne Farbenspiele. Neue Koalitionen von Bündnis 90/Die Grünen auf Länderebene. In: Sebastian Bukow und Uwe Jun (Hrsg.), Parteien unter Wettbewerbsdruck, S. 151-179. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Dieser Beitrag erschien zuerst als Blog Post bei der Heinrich-Böll-Stiftung unter der Themenseite Grüne Regierungspraxis – Regieren im föderalen Verbund.
Photo Credit Titelbild: GRÜNE Baden-Württemberg (CC BY-SA 2.0).